Themenschwerpunkt
Aufstellung bei Trauma oder Trauma bei Aufstellung? (Hrsg. Werner Haas)
Editorial
Werner Haas
Seelenpfusch an Traumapatienten: Familienaufstellungen nach Hellinger
Abstract
Heike Dierbach
Der „Stellvertreter“-Mythos und das sogenannte Aufstellungsphänomen
Abstract
Werner Haas
Bert Hellingers „Lebenshilfe“ – eine menschenfeindliche Pseudoheilslehre
Abstract
Irmela Wiemann
Akademische Weihen für die Aufstellungsideologie? Die Ordnungen der Seele als Ausdruck einer totalitären Psychologie
Abstract
Klaus Weber
Transgenerational weitergegebene Traumata der Bearbeitung zugänglich machen
Abstract
Katharina Drexler
„Neue Bilder braucht das Hirn“: Semiotische Progression durch bildhafte Einsicht, Zeugenschaft und feinfühlige Begleitung
Abstract
Gerhard Wolfrum
Reflektierende Abstraktion und Selbstentwicklung
Abstract
Markus Erismann
Seelenpfusch an Traumapatienten: Familienaufstellungen nach Hellinger
Heike Dierbach
Zusammenfassung
Die Familienaufstellung wurde in den 1990er Jahren von dem ehemaligen Missionar Bert Hellinger aus Elementen der Familientherapie entwickelt. Grundlage für die vorliegende Untersuchung sind hauptsächlich seine eigenen Veröffentlichungen, ergänzt durch die anderer Familienaufsteller sowie Stellungnahmen von Fachverbänden und Kritikern. Es soll der Frage nachgegangen werden, wie sich die Praxis der Familienaufstellungen heute gestaltet. Welches Risiko besteht für Patienten? Welche Reaktion der wissenschaftlichen Psychotherapie ist notwendig? Anhand von Beispielen aus Hellingers Praxis werden die Dynamiken der Technik und ihre Risiken für Patienten erläutert. Fälle eingetretener Schädigungen werden dokumentiert. Die Versuche, die Technik zu professionalisieren, werden untersucht. Als Fazit kann festgehalten werden: Die Methode ist für Patienten mit echten psychischen Problem, insbesondere Traumapatienten, als hoch riskant einzustufen. Ein besonderes Problem ist, dass im Vorhinein schwer erkennbar ist, ob ein Anbieter riskante Elemente von Hellinger einsetzt oder nicht. Daraus folgt wiederum: Will die wissenschaftliche Psychotherapie einzelne Elemente übernehmen, so muss sie dafür eine Qualitätssicherung etablieren und einen neuen, unbelasteten Begriff finden.
Schlüsselwörter
Familienaufstellung; Familientherapie; Trauma; Parapsychologie; Therapieschäden
A Bad Job on Trauma Patients: Family Constellations according to Hellinger
Summary
Family constellations work was developed in the nineties by the former missioner Bert Hellinger, combining some elements of well established family therapy. The leading questions of this article, which is based mainly on Hellingers own publications, are: How appears the constellation work today, which risks for patients do exist and what should be the appropriate reaction of scientific psychotherapy? By reference to examples of Hellingers work, the dynamic of the technique and its risks are illustrated. Cases of injuries are recorded. Efforts to professionalize the technique are examined. The conclusion: This is a high-risk method for every patient with serious psychological problems, especially for trauma patients. As an additional problem, it is difficult to know beforehand, if a constellation worker applies dangerous elements in the sense of Hellinger or not. So, if scientific psychotherapy wants to integrate some elements of constellation techniques, it must find a new and unloaded term and has to establish quality protection.
Keywords
Family posing; family therapy; trauma, parapsychology; medical mishaps
Der "Stellvertreter"-Mythos und das sogenannte Aufstellungsphänomen
Werner Haas
Zusammenfassung
Im Familienstellen nach Hellinger, aber auch in der (systemischen) Aufstellungsarbeit von Praktikern, die sich nicht (mehr) explizit auf Hellinger beziehen, spielt der Begriff der Stellvertretung eine zentrale Rolle. Seine Wurzeln gehen zurück auf okkulte Vorstellungen. Die „Stellvertreter“ genannten Rollenspieler sollen in Aufstellungen als wahre Repräsentanten der wirklichen Systemmitglieder fungieren und angeblich in der Lage sein, deren innere Zustände und Beziehungen untereinander authentisch widerzuspiegeln. Der vorliegende Artikel befasst sich kritisch mit diesem für die Aufstellerszene grundlegenden Anspruch, der auch als „Aufstellungsphänomen“ bezeichnet wurde. Im Gegensatz zu der Behauptung, dass wir es hier mit einem naturalistisch nicht fassbaren Phänomen zu tun hätten, wird aufgezeigt, dass das Aufstellungsgeschehen mühelos durch teils schon sehr lange bekannte psychologische Mechanismen, aber auch im Lichte neuerer Erkenntnisse über die sogenannten Spiegelneurone erklärt werden kann. Demnach findet keine mysteriöse „Informationsübertragung“ zwischen den Rollenspielern und den Systemmitgliedern statt, sondern eine kreative und hoch fehleranfällige Simulation mit dem Ziel, das dargestellte System zu rekonstruieren.
Schlüsselwörter
Aufstellungsphänomen; Familienstellen nach Hellinger; systemische Aufstellungsarbeit; Stellvertreter; Spiegelneurone; „Wissendes Feld“
The Myth of the „Representatives” and the So-Called Constellation Phenomenon
Summary
In the family posing according to Hellinger but as well in the systemic constellation work of practitioners which do not or no more refer to Hellinger, the concept of representation plays a crucial role. Its roots go back to occult visions about nature. The „representatives” are said to act in systemic constellations as perfect substitutes of the real members of the treated system and they are supposed to be able to reproduce exactly the psychological states of the latter und the relations between them. This article deals with this pivotal assumption of the constellation scene, the so-called „constellation phenomenon”. Contrary to the claim that this phenomenon is naturalistically not conceivable, it is shown that there’s no mystery about the happenings in constellations. It can easily be explained both by psychological mechanisms well-known for a long time and by recent findings concerning the so called mirror neurons. Thus there is no „transmission” of information between the role-players and the members of the system but a creative and highly fallible simulation in order to reconstruct the original system.
Keywords
Constellation phenomenon; Hellinger family posing; systemic constellation work; representative; mirror neurons; „knowing field“
Bert Hellingers "Lebenshilfe" – eine menschenfeindliche Pseudoheilslehre
Irmela Wiemann
Zusammenfassung
Ausgehend von der Erfahrung, dass Laien seriöse Formen systemischer Simulationsverfahren (z.B. Familienskulptur) nicht von sogenannten Familienaufstellungen nach Hellinger unterscheiden können, zeigt der Artikel, auch anhand der Arbeit der Autorin, diese Unterschiede auf. Bei von Hellinger inspirierten Aufstellungen werden dem „Aufstellungsleiter“ durch eine „höhere Macht“ Lösungen eingegeben und die Stellvertreter dienen als „Medium“. Bert Hellinger legt seiner Arbeit ein dogmatisches Ordnungssystem zugrunde. Bei genauem Hinsehen handelt es sich bei seinem Welt- und Menschenbild um ein archaisches, antiemanzipatorisches, zerstörerisches Konzept. Mit seiner Relativierung von Gut und Böse entlastet er Täterinnen und Täter im Allgemeinen sowie Hitler und Deutschland von der Verantwortung für die Schrecken des NS-Faschismus.
Schlüsselwörter
systemische Simulationsverfahren; Familienaufstellungen nach Hellinger; antiemanzipatorisch; Täterinnen und Täter; NS-Faschismus
Bert Hellingers „Life Help“ – A Destructive Pseudoreligion
Summary
Based on my experience, that non-professionals are not able to distinguish between reliable systemic simulation methods (e. g. family sculpting) and so-called family constellations according to Hellinger, this article points out the differences, as well by means of the authors work, as in general. In constellation works inspired by Hellinger the „facilitator” receives solutions from a „higher authority” and the so-called representatives act as a „mental medium”. Hellingers work is based on a dogmatic system of „hidden orders”. Actually, his vision of humanity and his worldview reveal an archaic, anti-emancipatory und destructive concept. By the relativization of good and evil Hellinger exculpates not only abusers in families but as well Hitler and Germany from the responsibility for the terror of Nazi fascism.
Keywords
systemic simulation methods; family constellations according to Hellinger; anti-emancipatory; abusers in families; Nazi fascism
Akademische Weihen für die Aufstellungsideologie? Die Ordnungen der Seele als Ausdruck einer totalitären Psychologie
Klaus Weber
Zusammenfassung
Der Münchener Psychologieprofessor Franz Ruppert verbindet die Analyse psychischer Probleme und Erkrankungen mit einer Variante der Familienaufstellung nach Hellinger. Dabei geht er von einem Modell aus, das rückwirkend durch die Erlebnisse der Aufstellung und seine subjektive Deutung den „kranken“ Personen Aufschluss über die Herkunft ihres Leidens geben soll. Dass dieses Modell weder wissenschaftlich haltbar noch unter dem Aspekt der Menschenwürde vertretbar ist, zeigt der Beitrag von Klaus Weber. Vielmehr werden aus Problemen der Menschen unhinterfragbare Wahrheiten gemacht, deren Aufklärung nach Ruppert nur möglich ist, wenn die Deutung gemäß seiner Aufstellungsmethode akzeptiert wird. Der totalitäre Aspekt einer solchen Art von Psychologie wird herausgearbeitet.
Schlüsselwörter
Familienstellen nach Hellinger; Trauma, Psychiatriekritik; Psychotraumatologie; Seele; Familienseele
Academic Orders for the Constellations Ideology? The Orders of the Soul as a Manifestation of Totalitarian Psychology
Summary
A psychology professor of Munich, Franz Ruppert, combines his analysis of psychological problems und diseases with a variant of Hellinger’s family constellation work. On this occasion, he starts from a model which is believed to give retroactively information about the origin of the „ill” person’s suffering, by means of subjective interpretation of the constellation experiences. This article points out, that this model is neither scientifically arguable nor sustainable in terms of human dignity. On the contrary, men’s problems are put in a frame of unquestionable verities, which can be clarified only by accepting the facilitator’s constellation method. The totalitarian aspect of such kind of psychology is worked out.
Keywords
family constellation work according to Hellinger; trauma, criticism of psychiatry; psychotraumatology; soul; family soul
Transgenerational weitergegebene Traumata der Bearbeitung zugänglich machen
Katharina Drexler
Zusammenfassung
Unbewältigte Traumata können in gravierendem Ausmaß auf die Folgegeneration übertragen werden -bis hin zu Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Dies wissen wir spätestens seit den Untersuchungen an Kindern und Enkeln Kriegstraumatisierter und Holocaustüberlebender. Die Übertragung vollzieht sich zum einen über die Interaktion, die unmittelbar geprägt ist von der traumatischen Erfahrung des ursprünglich Traumatisierten, und zum andern über eine Verinnerlichung von Anteilen dieser traumatisierten Bezugsperson durch den Nachfahren. Diesen Vorgang nennen wir in der Sprache der Psychoanalyse Introjektion. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Traumatisierung sich auch in epigenetischen Veränderungen niederschlägt, die vererbbar, aber auch reversibel sind. Der Artikel geht der Frage nach: Wie können transgenerational weitergegebene Traumata der Bearbeitung zugänglich gemacht werden? Auf dem Boden traumatherapeutischer Konzepte und der Arbeit mit Anteilen stellt die Autorin einen von ihr entwickelten empirischen Ansatz dar, wie das traumatisierte Introjekt im Rollenspiel zu einer traumakonfrontativen Sitzung „eingeladen“ werden kann. Hierdurch lässt sich das übertragene Trauma verarbeiten und neutralisieren.
Schlüsselwörter
transgenerational übertragene Traumata; transgenerative Traumata; Überlebenden-Nachfahren; Kriegsenkel; weitergegebene Traumata
Gaining Access to Treating Transgenerationally Transmitted Traumata
Summary
Unresolved traumata can pass on transgenerationally to a severe degree and well into next generations; some traumata to such an extent the person affected may show symptoms of posttraumatic stress disorder. The transgenerational effect of trauma was first proven in studies conducted on children and grandchildren of parents traumatized by war as well as offspring from Holocaust survivors. The transfer takes place by way of interaction which is shaped by the traumatic experience of the parents as well as internalization of parts of traumatized caregivers by the descendants. In the language of psychoanalysis this process is called introjection. Recent studies show the trauma can manifest in epigenetic changes which may be inherited, but are also reversible. The article asks the question: How can transgenerational traumata be unlocked and made accessible for treatment? Based on trauma therapeutic approaches and working with parts, the author presents an empirical approach that she has developed herself on how the traumatized introject is „invited“ to a role play within a trauma confronting session. By doing so a transmitted trauma can be processed and neutralized.
Keywords
transgenerational transmission of trauma; trans-generative transmission of trauma; surviver‘s offspring; veteran‘s offspring, passed on traumata
"Neue Bilder braucht das Hirn": Semiotische Progression durch bildhafte Einsicht, Zeugenschaft und feinfühlige Begleitung
Gerhard Wolfrum
Zusammenfassung
Angeregt durch Gottfried Fischers (Fischer, 2011) Publikation „Emotionale Einsicht und therapeutische Veränderung“ begegnete der Autor in der therapeutischen Arbeit mit traumatisierten Menschen zunehmend häufiger Behandlungsverläufen, bei denen Menschen aufgrund traumatischer Erfahrungen nicht nur auf ikonischer oder indexikalischer Ebene oft über viele Jahre „stecken geblieben“ waren, sondern auch die Arbeit allein mit emotionaler Einsicht sich als nicht ausreichend erwies. Deswegen wurde diesen Patienten nicht nur die ikonisch angelegte Screen-Technik angeboten, sondern ihnen auch prozessorientiert der Vorschlag gemacht, die „alten Bilder“ entsprechend den Notwendigkeiten der damaligen traumatischen Situation „nachträglich“ zu verändern. Wesentlich für den notwendigen therapeutischen Veränderungsschritt schien dabei auch die Bereitschaft des Therapeuten gewesen zu sein, zusammen mit den Patienten in die „alte Situation“ der traumatischen Erfahrung mit „einzusteigen“ und sich gemeinsam mit ihnen die genauen Umstände und Bedingungen der damaligen Situationsdynamik „anzusehen“. Da es sich zumindest bei zwei der beschriebenen Verläufe um Parentifizierungs-Dynamiken handelte, könnte gerade in diesen Fällen diesem Behandlungselement eine besondere Bedeutung zukommen.
Schlüsselwörter
Psychotraumatologie; Traumaverarbeitung und -integration; Ikonizität; Screen-Technik; Semiotische Progression
“The Brain Needs New Pictures”: Semiotic Progression by Imagery Insight, Testimony, Witnessing and Sensitive Companying
Summary
Enchouraged by Gottfried Fischer’s publication „Emotionale Einsicht und therapeutische Veränderung” (2011) the author discovered therapeutic processes, where patients suffering from traumatic experiences for a long time didn’t get beyond the iconic and indexicalic stages. The work with emotional insight alone was not helpful enough to solve the states of blockade. These patients were offered screen-techniques for „old pictures” emerged in the traumatic situation in order to change these towards a better way. Important for the patients seems to be the willingness of the therapist to accompany them during confrontation with the „old pictures” and to tolerate these situations of terror never told anyone. Three therapeutic processes are described, two of them with a dynamic of parentification. The significance of testifying these real live-events and the sensitive company by the therapist are emphasized.
Keywords
Psychotraumatology; trauma processing and integration; semiotic progression; imagery insight; screen-techniques;
Reflektierende Abstraktion und Selbstentwicklung
Markus Erismann
Zusammenfassung
Die Absicht der vorliegenden Untersuchung war es, zu zeigen, dass das Erkenntnisvermögen der reflektierenden Abstraktion, das sich in Piagets Theorie auf die Entwicklung des logisch-mathematischen Denkens bezieht, als das genetische Erkenntnisvermögen schlechthin verstanden werden kann, das die Bewusstseinsbildung voranbringt. Das Verhältnis zwischen reflektierender Abstraktion und Selbstreflexion wurde als doppelter Prozess der Verinnerlichung und Veräußerlichung sowohl hinsichtlich der Entwicklung des epistemischen Subjekts als auch hinsichtlich der psychotherapeutischen Praxis dargestellt. Dabei ergab sich, dass die „negative“ methodische Selbstreflexion, durch eine positive, das Selbst rekonstruierende und reorganisierende Arbeit mittels reflektierender Abstraktion ergänzt werden muss. Schließlich konnte anhand der Darstellung der Moraltheorie Piagets und der Rolle, welche der reflektierenden Abstraktion darin zuzuschreiben ist, die Anfangsthese bestätigt werden.
Schlüsselwörter
Piaget; reflektierende Abstraktion; Selbstreflexion; Selbstentwicklung; Bewusstseinsbildung
Reflective Abstraction and Development of the Self
Summary
The intention of the present study was to show that the cognitive faculty of the reflective abstraction that in Piaget’s theory refers to the development of the logical-mathematical thinking, can be understood as the genetic cognitive faculty in general, which brings forwards the formation of consciousness. The relation between reflective abstraction and self-reflection was described as a double process of internalization and externalism, both with regards to the development of the epistemic subject as with regards to the practice of psychotherapy. By that follows that the „negative” methodical self-reflection has to be completed by a positive, the self reconstructing and reorganizing work by means of reflective abstraction. Finally, by the representation of Piaget’s moral theory and the role, which has to ascribe to reflective abstraction in it, the initial thesis could be confirmed.
Keywords
Piaget; reflective abstraction; self-reflection; development of the self; formation of consciousness
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