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Heft 4/2008

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Themenschwerpunkt:
Psychotherapie in der Praxis - die Suche nach der Innenwelt der Außenwelt (Hrsg. Fischer).

Gottfried Fischer
Abstract
Psychologische Medizin, subjektive Biologie und die Notwendigkeit von dialektisch-ökologischem Denken in den Humanwissenschaften

Kurt Mosetter und Reiner Mosetter
Abstract
Perspektiven der Biologie des Menschen

Helmut Schaaf und Christiane Eichenberg
Abstract
Psychosomatische Ansätze beim Leiden am Tinnitus
Ein Plädoyer für ein störungsspezifisches Vorgehen unter Einschluss von 52 Tinnitus-Patienten einer Spezialambulanz

Mechthild Wenk-Ansohn und Katrin Schock
Abstract
Verlauf chronischer Traumafolgen – zum Begriff "Retraumatisierung"

Mechthilde Kütemeyer
Abstract
Erinnerungsschmerz und Schmerzerinnerung. Erstbegegnung mit Schmerzpatienten

Gottfried Fischer

Psychologische Medizin, subjektive Biologie und die Notwendigkeit von dialektisch-ökologischem Denken in den Humanwissenschaften

Gottfried Fischer

Zusammenfassung
Psychologische Medizin wird als Alternative zu einer „Verhaltensmedizin“ verstanden. Victor v. Weizsäckers „Wiedereinführung des Subjekts in die Medizin“ kann auch heute, fast 60 Jahre später, noch als programmatisch gelten. Unter dem Einfluss des nordamerikanischen Behaviorismus werden die subjektwissenschaftlichen Disziplinen der Medizin und Psychologie, wie Medizinische Psychologie, Psychosomatik, verstehende Psychiatrie und Psychotherapie heute zurückgedrängt, soweit sie sich nicht auf äußerlich beobachtbare Gegenstände zurückführen lassen bzw. sich selbst freiwillig darauf reduzieren. Soll Subjektivität in Psychologie und Medizin dagegen wieder ernst genommen werden, muss ein den Humanwissenschaften angemessener Denkstil zur selbstverständlichen Übung werden, der hier als dialektisch-ökologisches Denken bezeichnet wird. Dialektisches Denken bezieht erstens das erkennende Subjekt selbst in die gegenständliche Erkenntnis ein und betrachtet zweitens seinen Gegenstand im Kontext seiner Entstehungsgeschichte. An dieser Nahtstelle knüpft das ökologische Denken an, in dem humanwissenschaftliche Phänomene aus ihrem determinierenden Kontext heraus verstanden werden. Vom dialektisch-ökologischen Denken aus ergeben sich Unterscheidungen zwischen den Gegenständen jeweils von psychologischer und Verhaltensmedizin, von subjektiver und objektiver Biologie, von Psychotherapie und biologischer Psychiatrie, von Subjektwissenschaft und experimenteller Psychologie, also zwischen jeweils einer subjekttheoretischen vs. objektivistischen Variante von Medizin und Psychologie. Psychologen, Ärzte, Psychotherapeuten und Pädagogen, die ihr Fach als humanwissenschaftliche Disziplin verstehen und betreiben wollen, sollten sich in den genannten Unterscheidungen und im dialektisch-ökologischen Denken ebenso „leichtfüßig“ und selbstverständlich bewegen können wie in den naturwissenschaftlichen Methoden ihrer jeweiligen Disziplin.

Schlüsselwörter
Dialektisch-ökologisches Denken; Psychologische Medizin; Verhaltensmedizin; Psychosomatik; subjektive Biologie; Theorie subjektiver Systeme; transpersonale Psychologie; PTSD; Verdinglichung, Trauma-Folgestörungen



Psychological medicine, subjective biology and the necessity of dialectical-ecological thinking in social sciences

Summary
Psychological medicine is understood as an alternative to „behavioural medicine”. Victor v. Weizsäcker’s „reintroduction of the subject in medicine” can even be considered programmatic today, nearly 60 years later.
Do to the influence of north American behaviourism, the subject-scientific disciplines medicine and psychology as well as medical psychology, psychosomatic medicine, psychiatry and psychotherapy are being repressed as long as they cannot be traced back to externally visible objects, i.e. voluntarily reduce themselves to such. If subjectivity is to be taken seriously again in psychology and medicine, however, a school of thought that is appropriate to social sciences must become a natural exercise, which is referred to as /dialectical-ecological thought /here.
Firstly, / dialectical thought / includes the cognitive subject itself in the objective awareness and secondly it considers its object in context to its history of origin. Here is where ecological thinking ties in, where social-scientific phenomena are interpreted outside their determined context. Differences between the objects of psychological behavioural medicine, subjective and objective biology, psychotherapy and biological psychiatry, subjective science and experimental psychology, thus between one subject-theoretical vs. objectivist variety of medicine and psychology, are a result of dialectical-ecological thinking. Psychologists, medical doctors, psychotherapists and pedagogues who consider their profession a social science discipline and want to operate accordingly should be able to move around in the named differences and in dialectical-ecological thinking just as easily and naturally as in the natural scientific methods of their respective disciplines.

Keywords
Dialectical-ecological thinking; psychological medicine; behavioural medicine; psychosomatic medicine; subjective biology; theory of subjective systems; transpersonal psychology; PTSD; reification; post-traumatic disorders

Kurt Mosetter und Reiner Mosetter

Perspektiven der Biologie des Menschen

Kurt Mosetter und Reiner Mosetter

Zusammenfassung
Als ein biologisches Wesen ist der Mensch durch ein dynamisches Spannungsfeld zwischen Subjektivität und Objektivität charakterisiert. Die Beziehung zu sich selbst und zu seiner Umwelt ist in einer entsprechenden Theorie und mittels der Terminologie der Biosemiotik zu beschreiben. Die Umsetzung dieses Programms einer subjektiven Biologie erfordert (A) eine konnektionistische Vorgehensweise, die Verbindungen zwischen bisher separierten Funktions- bzw. Forschungsbereichen ausmacht. Zugleich aber (B) kann die Subjektivität des Menschen nicht nach den Regeln der Naturwissenschaften beschrieben werden. Das Spannungsfeld zwischen Subjektivität und Objektivität als dritte Seinsweise ist nicht Produkt, sondern primäre, übergeordnete Einheit. Diese ist (C) nicht fest vorhanden, sondern in ständiger Entwicklung. Krankheit kann in einem phänomenologischen Modell der Hirn- und Körperfunktionen als Störung oder Kollaps des Spannungsfeldes zwischen Subjektivität und Objektivität verstanden werden. Ausgehend vom Begriff des Körpers-in-Situation soll dieses Programm am Beispiel von Schmerzen des Bewegungsapparates sowie anhand katatoner Bewegungsstörungen entworfen werden.

Schlüsselwörter
Körper-in-seiner-Umwelt; subjektive Biologie; dritte Seinsweise; Konnektionismus; phänomenologisches Modell der Hirn- und Körperfunktionen; Schmerz; katatone Bewegungsstörungen

Perspectives on the Biology of Man
Summary
As biological entities, humans are characterised by a dynamic field of tension and ambiguity between subjectivity and objectivity. How man relates to himself and to his surroundings can be analysed and described in an adequate theory using the terminology of biosemiotics. In bringing to reality this program of a subjective biology, certain factors need to be kept in mind: First a connectionistic approach is needed that points at existing links between certain functional concepts and research areas that were seen as seperated fields in the past. At the same time, it is important to see that human subjectivity cannot be described using standard scientific methods since the aforementioned field of tension between subjectivity and objectivity as a third state of being is not a product of human existence, but rather a primary and superordinate unit in and of itself. This unit, then, does not exist as a static precondition, but works as a fluent, constantly developing entity. Utilising a phenomenological model of the human brain and body, we can then classify disease as a disturbance or even collapse of the field of tension between subjectivity and objectivity. Based on the concept of the „situationalised body”, we want to analyse the phenomena of pain in connection with the musculosceletal system as well as catatonic movement disorders to develop this program.

Keywords
environmentalised body; subjective biology; third state of being; connectionism; phenomenological model of the human brain and body; pain; catatonic movement disorder

Helmut Schaaf und Christiane Eichenberg

Psychosomatische Ansätze beim Leiden am Tinnitus
Ein Plädoyer für ein störungsspezifisches Vorgehen unter Einschluss von 52 Tinnitus-Patienten einer Spezialambulanz

Helmut Schaaf und Christiane Eichenberg

Zusammenfassung
Ausgeführt werden ätiologische und therapeutische Möglichkeiten beim Leiden am Tinnitus. Während neurophysiologische und psychophysiologische Modelle die subjektive Tinnitusbelastung durch eine mangelnde Habituation, dysfunktionale Aufmerksamkeitsprozesse und Bewertungen verstehen lassen, zeigt sich im tiefenpsychologischem Verständnis, dass ein Symptom mit Krankheitswert wie das Leiden am Tinnitus (nicht der Tinnitus selbst!) entstehen kann, wenn sich die Abwehrmechanismen erschöpfen, ein Konflikt auf der bewussten Ebene nicht lösbar ist oder traumatische Erfahrungen gemacht werden müssen. Vorgestellt werden die ICD-Diagnosen von N= 52 Tinnitus-Patienten, die in einem Zeitraum von drei Monaten von einem ärztlichen Psychotherapeuten mit HNO-Schwerpunkt ambulant gesehen werden konnten, wobei eine Zuordnung zu den möglichen Therapiemaßnahmen und zur Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik versucht wurde.
Plädiert wird für eine störungsspezifische Betrachtungsweise, die auf audiologischer Grundlage sowohl mögliche Ursachen im Sinne der Tiefenpsychologie ebenso berücksichtigt wie aufrecht erhaltende Faktoren entlang der kognitiven Verhaltenstherapie.

Schlüsselwörter
Tinnitus; Diagnostik; Therapie; Psychodynamik; kognitive Verhaltenstherapie

Psychosomatic approaches concerning people who suffer from tinnitus – An Appeal for a Problem-specific Approach. Including 52 Tinnitus-Patients from a special Outpatient Department
Summary
Aetiologic and therapeutic possibilities of dealing with tinnitus are discussed in this paper. While neurophysiological and psychophysiological models explain the subjective strain of tinnitus with insufficient habituation, dysfunctional concentration processes and evaluation, depth psychology shows that a symptom with a sickness value such as the suffering from tinnitus (not the tinnitus itself!) can develop, when the defense mechanisms have exhausted themselves, a conflict is not solvable on a conscious level or traumatic experiences have to be made. The ICD-diagnoses of N= 52 tinnitus patients are presented here. These patients were treated as outpatients by a medical psychotherapist, who focuses on ENT, over a time span of three months and it was tried to classify them according to possible therapeutic procedures and operationalised psychodynamic diagnostics. This paper pleads for a point of view specific to the dysfunctions based on audiological factors, which considers possible causes according to depthpsychology as well as sustaining factors along cognitive behavioral therapy.

Keywords
Tinnitus; diagnostic; therapy; psychodynamic; cognitive behavior therapy

Mechthild Wenk-Ansohn und Katrin Schock

Verlauf chronischer Traumafolgen – zum Begriff "Retraumatisierung"

Mechthild Wenk-Ansohn und Katrin Schock

Zusammenfassung
Der Verlauf chronischer traumareaktiver Beschwerdebilder zeigt einen prozesshaften Charakter mit wechselnder Stärke und Umfang der Symptomatik. Es besteht eine Vulnerabilität für Verschlechterungen bei neuerlichen Belastungen. In der Literatur werden unterschiedliche Auslöser beschrieben. Um Verschlechterungen im Zusammenhang mit auslösenden Situationen zu benennen, wird der Begriff der „Retraumatisierung“ verwendet. Er ist nicht einheitlich definiert und findet sowohl bei leichten und vorübergehenden, als auch bei schweren oder anhaltenden Verschlechterungen Anwendung. Ein einheitlicher Gebrauch wäre wünschenswert, um in einheitlicher Sprache über Verläufe, Risiken sowie evtl. indizierte therapeutische Maßnahmen zu kommunizieren. Dringlichkeit der fachlichen Diskussion ergibt sich aus dem Umstand, dass der Begriff derzeit im Rahmen der klinischen Begutachtung in ausländerrechtlichen Fragen eine wichtige Rolle spielt.
Im vorliegenden Artikel gehen die Autorinnen der Frage nach, ob eine Abgrenzung von „Retraumatisierung“ zu anderen Formen von Verschlimmerungen bei einer traumareaktiven Störung sinnvoll ist. Anhand von Fallbeispielen wird der Versuch einer Differenzierung und Systematisierung unternommen.

Schlüsselwörter
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS); Retraumatisierung; Reaktivierung; traumatisierte Flüchtlinge

Characteristics of trauma consequences – regarding the concept of „retraumatization“
Summary
Traumarelated syndroms are characterized by a procedural course. Traumatized individuals show a substantial vulnerability when confronted with new stressors. Different stressors or triggers are described in the literature. The term „retraumatization“ is used to describe psychological deterioration after being confronted with a new situation of distress or potential traumatic trigger. Retraumatization is not defined consistently. It describes a relatively mild and temporary increase of symptoms as well as a severe and persistent deterioration. A consistent use of this term would be desirable, to communicate about the course, risks and possible indicated therapeutic interventions uniformly. The urgency of a professional discussion results from the fact that this term plays an important role in the clinical assessment for court hearings during the asylum process. The authors examine if it would make sense to differentiate between retraumatization and other factors which might promote aggravation of a traumareactive symptomatology. In addition, it will be examined whether a differential use of the terms retraumatization and reactualization makes sense from a clinical point of view. Based on case descriptions a differentiation and systematization is proposed.

Keywords
Posttraumatic Stress Disorder (PTSD); retraumatization; reactivation; traumatized refugees

Mechthilde Kütemeyer

Erinnerungsschmerz und Schmerzerinnerung. Erstbegegnung mit Schmerzpatienten

Mechthilde Kütemeyer

Zusammenfassung
Es werden die konzeptuellen und kommunikativen Bedingungen genannt, unter denen die Erstbegegnung mit Schmerzpatienten ergiebig sein kann. Wesentlich ist eine Anamnese, die zuhörend auf der Symptomebene bleibt. Beim genauen Beachten der Schmerzqualitäten treten die Konturen verschiedener Schmerzen deutlich hervor, anfallsartige Schmerzen heben sich klar von den persistierenden ab, erstere werden überhaupt erst sichtbar. Dadurch entsteht eine konzeptuell neue klassifikatorische Ordnung unter Verzicht auf den Begriff „somatoform“. Das „Alphabet der Affekte“, die Zuordnung charakteristischer Schmerzphänomene zu bestimmten affektiven Konstellationen, wird zum Leitfaden der Differentialdiagnose. Durch die Verknüpfung von Schmerzempfindung und Affekt entsteht ein gemeinsames Verstehen, das durch „narrative“ Befunde der neurologischen Untersuchung ergänzt wird. Die gedankliche Ordnung, das konzeptuelle „Containen“, schafft beim Patienten und beim Arzt den inneren Halt, der mutuell emotionales Containen erst möglich macht. Der beziehungsstiftende Prozess der Diagnosefindung enthält schon wichtige therapeutische Elemente.

Schlüsselwörter
Dissoziative Schmerzanfälle; dissoziativer Schmerz; narrative Schmerzanamnese; Alphabet der Affekte; konzeptuelles Containen

Memory-pain and pain memorizing.
First encounter with pain-patients

Summary
Conceptual and interpersonal conditions that facilitate a diagnostic encounter with pain sufferers will be discussed. Essential is an anamnesis, which as a listening process remains on the symptom level. While taking a closer look at the qualities of pain , different types of pain can be distinguished from each other: e.g. pain attacks set apart from persistent types of pain, pain attacks only becoming apparent during this process. Thus, a new conceptual classification evolves, dispensing the term „somatoform“. The „alphabet of affects“, which correlates characteristical pain phenomena and certain affective constellations, becomes the manual for the differential diagnosis of pain types. Linking the patient‘s individual pain perception and his affective state creates a joint understanding which can further be complemented by „narrative“ findings of the neurological examination. Organizing the findings in a thinking process, a form of conceptual „containing“, creates an inner ground in the patient as well as in the doctor, which allows mutual emotional „containing“ to happen.

Keywords
Dissociative pain attacks; dissociative pain; narrative pain anamnesis; alphabet of affects; conceptual containing

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